Altenwerder Wildnis



Für den Erhalt der Altenwerder Wildnis!

Redebeitrag auf der Kundgebung der Klimaschutzinitiative Vollhöfner Wald vor der Altenwerder Kirche am 13.09.2020

Wir, die Klimaschutzinitiative Vollhöfner Wald, setzen uns seit mehr als einem Jahr (und teilweise auch schon viel länger) für den Erhalt dieses vergessenen Waldes ganz im Westen von Altenwerder ein: an der Straße Vollhöfner Weiden, am heutigen Ende der Alten Süderelbe, wo seit langem ein neues Gewerbegebiet ausgewiesen ist und Hallen für die Hafenlogistik entstehen sollen. Nachdem wir jede Woche demonstriert haben, nach viel Öffentlichkeitsarbeit, nach zahlreichen Waldspaziergängen, Fernsehberichten, sogar einer Baumbesetzung haben wir einen wichtigen Etappensieg erreicht: Die neue Regierungskoalition hat in ihren Koalitionsvertrag hineingeschrieben: Die Koalitionspartner vereinbaren, dass die Flachen der Vollhofner Weiden in Altenwerder-West nicht fur eine Hafennutzung in Anspruch genommen werden.“

Das ist ein schöner Erfolg und hat bisher verhindert, dass die einmalige Wildnis im Vollhöfner Wald der Abholzung zum Opfer fällt. Aber der Haken an der Sache folgt sogleich (ich zitiere wieder aus dem Koalitionsvertrag): Stattdessen sollen andere Flächen in entsprechender Größe für die Hafennutzung aktiviert werden, zum Beispiel die bislang hafenwirtschaftlich nicht genutzten Flchen nördlich und westlich des Containerterminals Altenwerder (…) Sobald Flchen in entsprechender Größe im Bereich des Containerterminals Altenwerder oder an anderer Stelle für eine hafenwirtschaftliche Nutzung aktiviert wurden, werden die Flchen der Vollhöfner Weiden aus dem Hafengebiet herausgenommen und unter Naturschutz gestellt.“ Also: Erst wenn woanders Flächen, die bisher noch keine gewerblich genutzten Flächen waren, das heißt Naturflächen, für die Hafennutzung bebaut und versiegelt worden sind, erst dann kann man wirklich sagen: Der Völli ist gerettet.

Das bedeutet letztlich: Hier sollen Naturschutzinteressen an einer Stelle gegen solche an einer anderen Stelle ausgespielt werden! Nicht nur im Vollhöfner Wald, wo sich seit den Sechzigerjahren eine unberührte Wildnis entwickeln konnte, auch hier, nördlich und südlich der Kirche und entlang der Bullerrinne im Norden, hat sich die Natur seit der Entvölkerung Altenwerders vor vierzig Jahren nach und nach ein Gebiet zurückerobert, in dem zahlreiche Vögel, Amphibien und andere Tiere leben und das von vielen Menschen als Naherholungsgebiet genutzt wird.

Bitte schaut euch mal um: Wenn hier bis auf Kirche und Friedhof alles unter meterhohem Sand verschwindet, so wie vor zwanzig Jahren der größte Teil Altenwerders, ist nicht nur eine weitere Naturfläche unwiederbringlich verloren, sondern auch fast der letzte Rest sichtbarer Erinnerung an ein achthundertjähriges Dorf. Das wirklich Absurde daran ist: Diese Flächen werden überhaupt nicht benötigt. Der Hafen hat ganz andere Probleme als zu wenig Platz. Die jahrzehntelange Ausdehnung des Hamburger Hafens nach Süden, die der Logik des stetigen Wachstums folgte, ist am Ende. Seit 2007, seit der Finanzkrise, ist der Containerumschlag nicht mehr weiter gewachsen, und es besteht Grund zu der Annahme, dass er eher zurückgehen wird.

Wenn man sich die Studie über Die Zukunft des Hamburger Hafens anschaut, die der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Prof. Dr. Henning Vöpel, im April 2020 erstellt hat, dann muss man ganz klar sagen: Weitere Wachstumserwartungen sind heute völlig unrealistisch.

Dafür benennt Prof. Vöpel verschiedene Gründe:


Hinzukommt: Wenn Hamburg es mit seiner Klimapolitik wirklich ernst meint, wenn also der Hamburger Klimaplan bis 2050 eingehalten werden soll, dann darf der Hafen gar nicht mehr weiter wachsen. Denn dann müsste dieses Wachstum, dann müsste die Vernichtung weiterer Naturflächen, dann müsste das Verfehlen der CO2-Reduktionsziele im Hafen woanders in der Stadt kompensiert werden – und dafür fehlt der Politik bis heute jeglicher Ansatz. Das lässt sich nämlich mit ein paar neuen Radwegen und Windrädern allenfalls symbolisch ausgleichen. Warum lässt man die Suche nach neuen Hafenflächen dann nicht einfach bleiben, erhält die Altenwerder Wildnis, die wir hier sehen, und stellt den Völli endlich unter Naturschutz?

Das hat einerseits sicherlich mit den Kräfteverhältnissen in der Hamburger Politik zu tun: Die Beharrungskräfte derjenigen, die am liebsten das bisherige Wirtschafts- und Profitmodell noch eine Weile so weiter betreiben würden, auch wenn aus wirtschaftlichen und aus Klimaschutzgründen alles dagegen spricht, sind enorm.

Es hat aber auch mit einer Naturauffassung zu tun, die der Natur immer nur zwei Zwecke zuweist: bestenfalls den der Erholung für den Menschen, meistens aber den, Materiallieferant oder kostenloser Ausdehnungsraum für neue Bauprojekte zu sein. Maja Göpel hat diese Auffassung sehr schön in die Frage gefasst, die der natürlichen Umgebung normalerweise entgegengebracht wird: „Lässt es sich wertbringend nutzen? Oder kann es weg?“

Diese Auffassung hat meines Erachtens keine Zukunft. Wir müssen zum Schutz des Klimas, zum Erhalt der Biodiversität, letzten Endes auch für den Erhalt guter Lebensbedingungen für alle die verbleibenden Reste nicht versiegelter Natur unbedingt schützen und bewahren, auch in der Stadt. Wir können es uns nicht mehr leisten, weiterhin Wohlstand vor allem durch Wachstum zu erreichen, das heißt: durch Naturzerstörung. Das Konzept Wachsende Stadt gerät auch hier an seine Grenze.

Die Regierungsparteien im Hamburger Senat haben in ihrem Koalitionsvertrag auch vereinbart, in Zukunft nicht mehr so verschwenderisch mit Flächen umzugehen wie bisher. Zitat: „Die Koalitionspartner setzen auf den Erhalt unversiegelter Flächen und naturnaher sowie klimarelevanter Böden. (…) Die Koalitionspartner setzen sich für den vorsorgenden Schutz der Böden als natürliche Ressource ein.“ Nehmen wir sie also beim Wort: Hier im Altenwerder Kirchtal, im Vollhöfner Wald, im Bostelbeker Moor, wo Daimler ein ganzes Moor trockenlegen will, am Wilden Wald in Wilhelmsburg, in Billwerder und auch anderswo in Hamburg bietet sich die Gelegenheit, unversiegelte Naturflächen zu erhalten und unter Beweis zu stellen, dass der Koalitionsvertrag mehr ist als heiße Luft!

Vielen Dank!


Altenwerder von oben

Wo sich die Altenwerder Wildnis befindet, die als Ausweichfläche dienen soll, könnt ihr in diesem Video auf YouTube sehen.